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Die sind noch gut: Nicole Klaski auf dem Hof von Heiner Hannen

Die Reifen drehen durch und versinken immer weiter im Schlamm. Matsch spritzt seitlich gegen den weißen Bulli. Das Auto bewegt sich keinen Millimeter. „Machste nix“, sagt Nicole Klaski locker, als sie das Fahrzeug umkreist und die eingegrabenen Reifen begutachtet. Sie klettert auf den Beifahrersitz, ihre Gummistiefeln hinterlassen dreckige Spuren im Fußraum. Während Klaski ein Brötchen auspackt, schweift ihr Blick über den Acker, auf dem der Bulli festsitzt.

Klaski mag Dinge, die Makel haben und nicht perfekt sind. Und wahrscheinlich regt sie sich deshalb auch nicht über das Auto auf, das nun im Schlamm feststeckt. Seit rund zwei Jahren verkauft die Kölnerin mit The Good Food in Popup-Stores und auf Marktständen krummes Gemüse, zu klein geratenes Obst oder abgelaufene Lebensmittel – alles, was sonst im Müll landen würde. Meist holt Klaski die Produkte selbst vom Hersteller ab oder erntet sie direkt auf dem Acker. So wie heute.

Gemeinsam mit einem ehrenamtlichen Mitarbeiter hat sie sich einen Bulli von einem Freund ausgeliehen, um bei ihrem Lieblingsbauern vorbeizuschauen. Rund 45 Kilometer von Köln entfernt liegt der Hof von Heiner Hannen. Seit einem Jahr fährt Klaski einmal in der Woche dorthin, um Gemüse abzuholen, das der Bauer nicht mehr verwendet. Hannen, der seit 30 Jahren den Hof und auch einen Hofladen betreibt, findet das Engagement gut. Wenn er sein Gemüse nicht im Laden oder an Großhändler verkaufen könne, gebe er es gerne kostenlos an die Gründerin ab, sagt er.

Geschenkte Ware

Auf dem Hof von Hannen kennt sich Klaski mittlerweile gut aus, sie weiß, wo die Kartoffelsortiermaschine steht und wo die Möhren geputzt werden. „Wenn er sagt: ‚Ihr könnt euch Kohlrabi nehmen‘, wissen wir direkt, zu welchem Feld wir müssen“, sagt sie. „Es ist eine Vertrauenssache, dass er uns immer wieder auf seinen Hof und seine Felder lässt.“ Am Anfang habe sie Hannen Geld geboten – doch dieser wollte nichts annehmen. Die Gründerin bekommt die meisten ihrer Produkte geschenkt: Backware vom Bäcker, Bier von Brauereien, Gemüse von Bauern.

Auch wenn Lebensmittel teilweise ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hätten, seien sie oft noch völlig in Ordnung, betont Klaski. So lange sie die Kunden darauf hinweise, könne sie die Produkte verkaufen. Auch vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit heißt es: „Nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums ist die Ware nicht automatisch verdorben. Sie darf noch verkauft werden, wenn sie einwandfrei ist.“ Diese Lebensmittel nicht wegzuschmeißen, sei für Händler gute Werbung, ist sich Klaski sicher. Bisher ist die Verschwendung immens: Einer Studie aus dem Jahr 2015 zufolge werden jedes Jahr etwa 2,6 Millionen Tonnen Lebensmittel allein im deutschen Groß- und Einzelhandel weggeworfen, auch weil diese nicht gut aussehen.

Zudem sparten die Händler so Entsorgungskosten, glaubt die Gründerin. Und auch Klaski spart Geld. Denn davon hat das junge Unternehmen nicht viel. Die laufenden Kosten für Miete oder Transport könne The Good Food zwar aus eigener Tasche zahlen, sagt die Gründerin. Doch sie achte penibel darauf, so wenig wie möglich auszugeben. „Da bin ich sensibel, wir versuchen nichts einzukaufen“, betont sie. Gehalt zahlt sie sich die Gründerin keins. Auch ihre 17 ehrenamtlichen Helfer werden nicht entlohnt. Sie alle haben nebenher noch einen anderen Job, Klaski arbeitet bei einer Klimaschutz-Initiative. Das reiche für ihre eigene Miete und zum Beispiel die Versicherung, sagt sie.

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Helfer Philipp sammelt Möhren ein

„Das war nicht perfekt, aber trotzdem schön“

Wie viel Umsatz ihr kleines Unternehmen bisher macht, möchte Klaski nicht preisgeben. Sie betont aber, dass sich The Good Food alleine tragen könne – und sie keine Kredite aufnehmen müsse. Stattdessen wird improvisiert: „Am Anfang habe ich die ersten Visitenkarten aus Papier ausgeschnitten und mit der Hand beschrieben“, erinnert sich Klaski. „Das war nicht perfekt, aber trotzdem schön. Man kann auch mit wenig Geld viel anfangen. Es muss nicht immer alles neu und gleich sein.“

So kämpft Klaski nun seit zwei Jahren mit The Good Food gegen Lebensmittelverschwendung. Auch privat tauscht sie lieber Kleidung mit Freundinnen anstatt neue zu kaufen, einen Supermarkt sieht sie so gut wie nie von innen. Für ihre vierköpfige WG bringt sie übrig gebliebene Lebensmittel von The Good Food mit, auch die Helfer dürfen sich bedienen. Dennoch kauften ihre Mitbewohner manchmal ein, einen „guten Käse“ oder Eis. Das freut dann auch die Gründerin: „Eis rette ich ja nicht!“, lacht sie.

Die 33-jährige Klaski fühlt sich als Unternehmerin wohl. „Ich wollte nie einen Vollzeitjob machen, ich habe auch noch nie einen klassischen Nine-to-five-Job gehabt“, sagt sie, während sie in Gummistiefeln und lilafarbenen Strumpfhosen über das matschige Feld stapft und in den tiefen Trecker-Furchen nach zu kleinen oder krummen Porree-Stangen sucht. „Damit meine ich jeden Tag in dasselbe Büro fahren und dort festsitzen, bis es 18 Uhr ist. Ich möchte immer mal woanders arbeiten.“ Sie grinst, stiefelt weiter und hebt eine Pflanze auf. Dann sagt sie etwas nachdenklicher: „Ich merke aber jetzt, wie angenehm es war, wenn dir jemand sagt, was du zu tun hast, du das erledigst – und dann nach Hause gehst und nichts mehr damit am Hut hast.“ Doch ihr Gründerdasein eintauschen möchte sie nicht mehr.

Der erste eigene Laden

Für The Good Food gibt es schließlich große Pläne. Anstatt wie bisher nur in Popup-Stores und auf Marktständen zu verkaufen, wird das Startup in Zukunft einen festen Laden in Köln-Ehrenfeld betreiben, am heutigen Samstag wird eröffnet. Kunden müssen hier nur zahlen, was sie für angebracht halten. Für das Team und die Gründerin ist es ein großer Schritt, dem Klaski gespannt entgegen sieht. „Ich fänd’s toll, wenn ich Stellen schaffen könnte“, sagt sie. „Vielleicht klappt das mit dem Ladenlokal, wir überlegen gerade verschiedene Modelle, sodass wir Mitarbeitern wenigstens etwas entlohnen könnten.“

Nach einer Weile taucht langsam Bauer Hannen mit seinem Trecker am Horizont auf. Er fackelt nicht lange, befestigt ein Seil am Bulli und zieht das Fahrzeug mit den Kisten voller Möhren, Kartoffeln und Porree aus dem Schlamm. Als sich Klaski für die Umstände entschuldigt, winkt er ab: „Ihr rettet das Gemüse. Ich rette euch!“

Bilder: Kim Richters / Gründerszene