Andreas und Waldemar Wegelin verkaufen Schnaps in reagenzgläserähnliche Fläschchen

Andreas Wegelin ist hochzufrieden – aber auch sehr geschafft. Nur kurz ist er für den Interviewtermin ins Büro in St. Georg gekommen. Gleich danach will der 28-Jährige wieder los, in die Produktions- und Versandräume fahren, und dort für den Rest der Woche bleiben. Schließlich ist er für alle Fragen der Logistik und des Vertriebs zuständig, während sich sein Cousin Waldemar um das Marketing in ihrem gemeinsamen Unternehmen Tastillery kümmert. Und weil es marketingtechnisch im Moment ziemlich herausragend läuft, hat Andreas sehr, sehr viel zu tun. Die Hamburger konnten in der letzten Folge der 2017 zu Ende gegangenen Staffel Die Höhle der Löwen ihre Geschäftsidee vorstellen – und seitdem ist nichts mehr so, wie es vor der Ausstrahlung war.

Tastillery ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnaps-Idee. Über ihre Homepage verkaufen Andreas und Waldemar hochwertige Spirituosen. Zum einen ganz normal flaschenweise, doch das ist im Moment nur ein kleiner Teil ihrer Geschäftsidee. Den bei Weitem größten Teil des Umsatzes machen sie mit Testboxen mit so wohlklingenden Namen wie „Exotic Exploration“ (Gin) oder „Tropical Island“ (Rum).

Sie sind mit einer verspielten Illustration verziert, wer sie aufklappt, blickt zunächst auf das Zitat „If a good drink isn’t the answer, you are asking the wrong question“ (wenn ein guter Drink nicht die richtige Antwort ist, stellen Sie die falsche Frage). Darunter finden sich fünf reagenzgläserähnliche Fläschchen, in denen unterschiedliche Spirituosen abgefüllt sind, jeweils 50 Milliliter davon und somit genug für zwei bis drei Tester. Eine Broschüre erklärt den angehenden Connaisseuren dazu unterhaltsam wie detailliert, was genau in den Ampullen steckt. Auf dass man nicht einfach nur Spirituosen verkostet, sondern flüssige Geschichten.

Waldemar erklärt: „Wir wollen unsere Kunden auf Entdeckungsreise mitnehmen. Spirituosen sind einfach ein sehr emotionales Thema. Viele von ihnen haben wunderbare Geschichten, und die Vielfalt innerhalb eines Segments ist riesig. Gin zum Beispiel muss nicht immer süß schmecken, er kann auch Noten von Zitronengras, Wacholder oder Safran haben.“

Der Rum-Fan soll auch mal Gin trinken

Die beiden Cousins sind Geschäftsleute, aber sie sehen sich auch als Missionare für eine experimentierfreudigere Trinkkultur. Viel zu häufig werde Hochprozentiges immer noch nach drei Kriterien gekauft: Was empfehlen die Freunde, was kostet es – und wie sieht die Flasche aus? Andreas ergänzt: „Generell haben wir gemerkt, dass es mitunter schwierig ist, Menschen an neue Spirituosen heranzuführen. Single-Malt-Trinker neigen dazu, immer Single Malt zu trinken, und der Rum-Fan ist kaum vom Rum zu trennen. Dabei gibt es doch so viel zu entdecken!“

Ganz bewusst biete man deshalb auch Sets mit unterschiedlichen Gattungen von Spirituosen an, in der Variante „Fireside Stories“ findet sich zum Beispiel ein Cognac neben einem Rum sowie einem schottischen und einem japanischen Whisky und einem US-Bourbon. „Wir wollen einen Aha-Effekt beim Verkosten auslösen. Wir sehen uns als Übersetzer und Vermittler. Gerade als Online-Anbieter müssen wir die Besonderheiten der Spirituosen klar und deutlich machen – erst recht in einer Zeit, in der die meisten Menschen nur eine überschaubare Aufmerksamkeitsspanne haben“, so Waldemar Wegelin.

Die Leute trinken weniger – aber besser

Die Geschäftsidee hatten beide vor gut zwei Jahren. Sie hatten zunächst beschlossen, dass sie gemeinsam ein Unternehmen gründen wollten. Nur was? Zig Ideen wurden ersonnen und wieder verworfen, bis sie sich beide vornahmen: Wir machen nur, was uns auch über Jahre hinweg Freude bereiten wird und von dem wir wirklich etwas verstehen – und landeten so beim Alkohol. Das mag wie ein Trinkerscherz klingen, ist im Falle der beiden Wegelins aber schlicht Familiengeschichte.

Schon die Väter der beiden machten Alkohol. Erst exportierten sie gute europäische Weine nach Kasachstan, später begannen sie dort selbst Wein anzubauen. Waldemar sagt: „Meist machen sich Eltern ja eher Sorgen, wenn Alkohol im Spiel ist und ihre Kinder sich selbstständig machen wollen. Unsere sagten: ‚Endlich!‘“ Andreas fügt an: „Gerade weil wir aus einer Winzerfamilie kommen, haben wir von klein auf sowohl den verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol als auch die Begeisterung für gute Weine und Spirituosen mitbekommen.“ Dass bei einem Mittagessen zu jedem einzelnen Gang die passende Weinbegleitung – und sei es nur ein winziger Schluck – serviert wird, das gehört für die beiden bei jeder Familienzusammenkunft einfach dazu.

Dass „Wirkungstrinken“ heutzutage kaum noch angesagt ist und jüngere Menschen tendenziell immer weniger und dafür lieber besser trinken, hilft den beiden bei ihrer Geschäftsidee. Sie besuchten vorher zu Recherchezwecken unzählige Tasting-Veranstaltungen und gingen immer mit demselben Gefühl nach Hause: Das können wir besser. Ihnen war bewusst, dass man in Großstädten wie Hamburg sicherlich auch in einen Fachhandel gehen kann, um exotischen Rum oder ausgefallenen Gin zu erwerben. Doch kann man ihn dort auch probieren? Und vor allem: Was ist mit der großen Menge potenzieller Kunden, die eben nicht in Ballungsräumen lebt?

Am Ende kam kein Deal zustande

Seit ziemlich genau einem Jahr sind die beiden nun mit Tastillery online. Optisch präsentiert sich die Seite licht und freundlich. Waldemar: „Bei allen Fragen der Gestaltung fragen wir uns: ‚Wie würde Apple wohl Spirituosen inszenieren?‘ Uns ist eine moderne und frische Art der Präsentation wichtig.“ Doch bei allem Enthusiasmus gestalteten sich die ersten Monate als mühsam: Wenn sie auf Fachmessen Herstellern von ihrer Idee erzählten, waren die Reaktionen verhalten. Auch in der Versandabteilung, wo mithilfe einer Vakuumpumpe die hochwertigen Spirituosen abgefüllt werden, kam kein Stress auf. Monatlich gingen nur ein paar Hundert Boxen raus.

Das ist seit ihrem Auftritt in Die Höhle der Löwen vorbei. Charmant präsentierten die beiden dort ihre Boxen und ihre Begeisterung für gute Spirituosen. Dass der Deal mit Löwin Dagmar Wöhrl am Ende doch nicht zustande kam? Egal. Man bleibt freundschaftlich verbunden. Vor allem aber: Tastillery hat schlagartig eine Menge Fans. Allein in der ersten Woche nach Ausstrahlung gingen 8.000 Tasting-Sets in den Versand. Täglich erreichen die beiden Cousins nun Mails. Kunden haben Ideen für neue Sets. Hersteller interessieren sich für eine Zusammenarbeit. Plötzlich werden sie sogar von einem Konzern wie Diageao (Ron Zacapa, Ketel One, Gordon’s Gin) eingeladen. Und gerade in der Weihnachtszeit waren die Boxen als Geschenk sehr beliebt. Andreas: „Eigentlich dachten wir, dass jeder mit Sinn für Spirituosen die Sets für sich selbst bestellt. Unserer Einschätzung nach werden aber um die 70 Prozent als Geschenke gekauft. Darum haben wir auch sehr viele Frauen unter unseren Kunden. Die bestellen die Sets für ihre Freunde, Männer, Brüder, Väter.“

Den beiden soll es recht sein. Sie verkosten weiter die unterschiedlichsten Spirituosen und wollen die Marke ausbauen. Die einzelnen Boxen sollen nur der Anfang sein. Denn wer erst einmal einen Favoriten gefunden hat, der soll sich bestenfalls dann auch die ganze Flasche bei ihnen bestellen. Auch ein „Test-Abo“ gibt es bereits. Die Welt ist voller flüssiger Geschichten – und Tastillery schreibt jetzt seine ganz eigene.

Dieser Text erschien zuerst auf Iconist.

Bild: Tastillery