Trotz neuer vegetarischer Food-Trends: Die Lust auf Fleisch bleibt.

Veganer Guglhupf auf Algenbasis, Insektennahrung und Lupinenreis. Klingt seltsam? Wir werden uns wohl daran gewöhnen müssen. Dieser Eindruck beschleicht einen zumindest, wenn man in diesen Tagen über die Internationale Grüne Woche schlendert, die große Agrarmesse, die noch bis zum 28. Januar in Berlin stattfindet. „So schmeckt die Zukunft“ heißt beispielsweise ein Stand, an dem die Lebensmittelindustrie und der Bauernverband das Bild einer experimentierfreudigen Konsumentenschaft entwerfen.

Aber stimmt das überhaupt? Mag sein, dass viele Verbraucher in den reichen Industrieländern sich in Zukunft verstärkt nach neuen Varianten gesunden und nachhaltigen Essens umschauen. Weltweit aber steht ein ganz anderes Lebensmittel im Vordergrund des künftigen Wachstums, ein Klassiker seit den Zeiten der Jäger und Sammler: Fleisch.

Zwar pendelt der Verbrauch pro Kopf in Deutschland seit vielen Jahren bei leicht rückläufiger Erzeugung nach Zahlen des Fleischerfachverbands um die 60 Kilo, aktuell liegt er darunter. Mitte der 80er-Jahre waren es noch sechs Kilo mehr. Im internationalen Vergleich ist das Mittelmaß. Chinesen konsumieren ein Drittel weniger, manche Afrikaner nicht mal die Hälfte. Aber in anderen Ländern wie Argentinien oder den USA liegt der Pro-Kopf-Konsum bei über 100 Kilo jährlich. Wenn die Wirtschaft in bevölkerungsreichen Schwellenländern wie China und Indien weiter in Schwung kommt, wird die Fleischproduktion gerade in diesen Regionen absehbar zulegen – und mit ihr der Ausstoß an schädlichen Treibhausgasen.

Bauern für ein Viertel der Emission verantwortlich

„Mit dem Wachstum der Weltbevölkerung und steigendem Wohlstand steigt der Verbrauch an tierischen Nahrungsmitteln weltweit überproportional“, heißt es in einem Papier des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Wenn die Nachfrage so stark wachse wie allgemein prognostiziert, werde die Fleischproduktion bis zur Mitte des Jahrhunderts von derzeit 300 Millionen Tonnen auf 480 Millionen Tonnen zulegen, warnten Experten auf einer Fachtagung über Tierhaltung am Rande der Grünen Woche. Die Erzeugung von Fleisch sei dann für mehr als die Hälfte aller Treibhausgasemissionen weltweit verantwortlich, wird geschätzt.

Es ist unstrittig, dass ein Wachstum von 60 Prozent bei der Haltung von Schweinen, Rindern und Federvieh nicht ohne Folgen für das Weltklima bleiben kann. Zu den Veranstaltern des Symposiums zählten kritische Organisationen wie Brot für die Welt, Misereor und die Heinrich-Böll-Stiftung.

Aber auch der Deutsche Bauernverband stellte in einem kürzlich erschienenen Grundsatzpapier zu seiner Klimastrategie fest: „Landwirtschaft und Klima sind untrennbar miteinander verbunden.“ Weltweit werden die Bauern schon jetzt für rund ein Viertel der Emissionen an Treibhausgasen verantwortlich gemacht. In Deutschland beträgt ihr Anteil nur sieben Prozent, denn wie in allen entwickelten Ländern entfällt der Löwenanteil der Emissionen hier auf Industrie, Gewerbe und Verkehr.

Bauern sind Opfer und Verursacher

Die Landwirte, wird Bauernverbands-Präsident Joachim Rukwied in Berlin nicht müde zu betonen, seien Opfer und Verursacher des Klimawandels zugleich. Opfer sind sie, weil Extremwetter immer wieder zu Ernteschäden führt – die Versicherungswirtschaft beziffert sie auf 511 Millionen Euro im Jahr; weil die seit den 60er-Jahren um etwa zwei Wochen verlängerte Vegetationsperiode zwar das Pflanzenwachstum fördert, aber eben auch Schädlinge begünstigt. Weil Spätfröste häufiger mal blühenden Obstbäumen zusetzen und die Ernte minimieren, wie erst im vergangenen Jahr.

Gleichzeitig ist klar, dass die Agrarwirtschaft zu den großen Quellen von klimawirksamen Gasen zählt – und damit zu den Verursachern. CO2 wird an vielen Stellen der Produktion freigesetzt, ob der Traktor läuft oder Futtermittelreste verrotten. Viel schlimmer aber wirkt sich das von den Wiederkäuern freigesetzte Methan aus.

Zwar sind die Mengen in absoluten Zahlen vergleichsweise gering, aber eine Tonne Methan fördert den Treibhauseffekt so stark wie 25 Tonnen Kohlendioxid. Noch heftiger ist der Effekt bei Lachgas (N2O) aus der Düngung. Lachgas ist ein 298-mal wirksameres Klimagas als CO2. Gemessen an der Wirksamkeit entfallen laut Umweltbundesamt mehr als 95 Prozent der Treibhausgas-Emissionen aus dem Agrarbereich in Deutschland auf Methan und Lachgas.

Tierschützer wünschen sich mehr Vegetarier

Umweltprobleme, ethische Fragen zum Tierschutz – mancher Deutsche verzichtet da lieber auf Fleisch, entweder ganz oder zumindest ab und zu. War das Kotelett auf dem Teller in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit noch ein Statussymbol, so zwickt viele inzwischen beim Genuss ein schlechtes Gewissen.

Tier- und Naturschützer freut das. „Wer Fleisch reduziert oder sogar ganz von seinem Speiseplan streicht, praktiziert nicht nur aktiven Tierschutz, sondern verringert seinen ökologischen Fußabdruck in Bezug auf Nahrung erheblich“, sagte Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder der Welt am Sonntag.

Allein in Deutschland müssten jährlich etwa 750 Millionen Tiere für den Fleischkonsum sterben, weltweit seien es 60 Milliarden. „Letzten Endes kann jeder Einzelne seinen Beitrag leisten: Der konsequenteste Weg hin zu mehr Tierschutz ist und bleibt eine vegane oder vegetarische Lebensweise“, appellierte Tierschutzbund-Präsident Schröder an die Verbraucher. Doch zu dieser Konsequenz kann sich bisher nur etwa jeder zwanzigste Deutsche durchringen.

Der Bauernverband will stattdessen die Fleischproduktion klimafreundlicher machen. „Die deutschen Landwirte sind weltweit mit an der Spitze, wenn es um Klimaeffizienz geht“, sagte Verbandschef Rukwied auf der Grünen Woche. So entstehe in Deutschland ein Kohlendioxidausstoß von 1,1 Kilo pro Liter Milch. Im globalen Mittel sei dieser Wert mehr als doppelt, in manchen Regionen sieben bis acht Mal so hoch. Hinter der Reduktion stecke viel Feinarbeit – vom Einsatz von Futtermitteln, die vom Vieh möglichst vollständig verdaut werden könnten, bis zu Einbringung von Gülle in den Boden.

Doch sei noch mehr möglich. Bis 2025 wollten die deutschen landwirtschaftlichen Betriebe den Ausstoß an Treibhausgas um 25 Prozent unter das Niveau von 1990 drücken, weitere fünf Jahre später soll es um 30 Prozent gesunken sein. Gleichzeitig ist nicht nur für den Bauernverband klar, dass die Produktion von Nahrungsmitteln Vorrang vor allen anderen Zielen haben muss – auch vor Tier-, Landschafts- und Klimaschutz. So heißt es im Vorwort zum Pariser Klimaabkommen von 2015, dass „die Gewährleistung der Ernährungssicherheit und die Beendigung des Hungers grundsätzlich Vorrang haben.“ Die Vereinten Nationen gehen tatsächlich davon aus, dass zur Mitte dieses Jahrhunderts Nahrung für 9,5 Milliarden Erdbewohner bereitgestellt werden muss.

Was dem Tierwohl dient, schadet manchmal dem Klima

Die Zusammenhänge sind kompliziert. Mit Inbrunst streiten Experten beispielsweise über die Folgen des Einsatzes von global gehandeltem Soja als Kraftfutter. Die globale Verwertung der Bohne, dafür notwendige Transporte und der hohe Flächenbedarf beim Anbau sind nach Meinung der Kritiker mit dafür verantwortlich, dass die fünf größten Fleisch- und Milcherzeuger der Welt – darunter Weltmarktführer JBS aus Brasilien sowie die US-Konzerne Tyson Foods und Cargill – zusammen mehr Treibhausgas ausstoßen als etwa der Ölgigant Exxon, sagte Shefali Sharma, Europa-Chefin des Instituts für Landwirtschaft und Handelspolitik (IATP) auf der Berliner Fachtagung.

Aus Sicht des Bauernverbands ist die Streichung von Soja-Kraftfutter jedoch auch keine Lösung. Die Viehhaltung auf der Weide verhindere, dass die Gülle in Biogasanlagen genutzt würde und so fossile Energie ersetzen könne. Weidehaltung führe auch zu einem höheren Ausstoß von Lachgas als die Stallhaltung, ebenso stiegen die Methan-Emissionen je Liter Milch. Das Beispiel verdeutlicht einen Konflikt: Was dem Tierwohl dient, schadet manchmal dem Klimaschutz.

Nicht alle Experten folgen dieser Sicht. Das Thema Tierhaltung sei „zu einem Schlachtfeld“ der Meinungen geworden, sagt Stefano Prato, Managing Direktor der Gesellschaft für Internationale Entwicklung (SID): „Es gibt die industrialisierte Tierhaltung, die Menschen in erster Linie als Konsumenten betrachtet. Und es gibt den kleinbäuerlichen Ansatz, in dem Menschen und Tiere als Mitwesen gesehen werden.“ Beides werde sich wohl nie zusammenbringen lassen.

Oder doch? Jungbäuerin Anja Hradetzjy von Hof „Stolze Kuh“ in der Uckermark jedenfalls pfeift auf die Globalisierung. „Wir produzieren Lebensmittel für die Menschen aus der Region und nicht für die andere Seite des Globus“, sagte sie auf der Tagung in Berlin.

Ihre Lösung ist pragmatisch: „Ich sage den Leuten immer: Esst weniger Fleisch, dafür aber gutes Fleisch.“ Viele Deutsche dürften ihr zustimmen. Fraglich bleibt, ob sich davon Millionen von Menschen in Ländern überzeugen lassen, die sich heute nicht weniger nach dem Wohlstandssymbol Fleisch sehnen als die Deutschen in der Nachkriegszeit. Keine guten Nachrichten fürs Weltklima.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de.

Bild: Peter Dazeley / Getty Images